in der PNN am 1.4.2011 erschienen:

Die eigene Stimme finden

von Astrid Priebs-Tröger

Suse Weiße bietet eine neue Erzähl-Theater-Werkstatt für Erwachsene im T-Werk an

„Hina bilulu bischemba, Hina bilulu bischemba“ ertönt es mehrstimmig auf der Probebühne im T-Werk. Ein bisschen ungewohnt ist es schon für Annette, Franziska, Martina, Bernd und Katja an diesem Mittwochabend fast aus dem Stehgreif heraus gemeinsam zu singen. Denn schließlich haben sie sich für die neue Erzähl-Theater-Werkstatt, die von der Potsdamer Erzählerin Suse Weiße geleitet wird, angemeldet. Und deshalb waren die fünf wohl eher auf Reden eingestellt. Aber das afrikanische Volkslied ist eine schöne Einstimmung und auch ein Schlüssel dazu. Denn die erste Aufgabe der Regisseurin und Theaterpädagogin lautet, während man gemeinsam mit geschlossenen Augen singt und dabei auch sein Herz öffnet, zu dem völlig unbekannten Text erste eigene Bilder aufsteigen zu lassen. Um diese dann so konkret wie möglich seinem Gegenüber und kurz darauf allen im Stuhlkreis zu erzählen.

Suse Weiße beginnt mit ihrer Version, in der eine junge Braut sehnsuchtsvoll ihren Bräutigam erwartet. Die nächste Teilnehmerin erzählt, dass in ihrer Vorstellung Frauen ihre kleinen Kinder in den Schlaf wiegen, eine andere, dass ein Afrikaner am Meer sitzt und den Sonnenuntergang beobachtet. Schließlich sagt jemand, dass Wäscherinnen am Fluss bei ihrer Arbeit singen. Suse Weiße ist sichtlich überrascht über dieses Bild. Sie erzählt, wie sie dieses Lied während eines Workshops mit dem Holländer Sjef van der Linden gelernt hat und für sich unter „Hochzeitslied“ abgespeichert habe. Viel später fragte sie ihren Lehrer, nachdem sie selbst immer wieder von Seminarteilnehmern danach gefragt wurde, nach dessen Bedeutung. Seine Antwort: Ich glaube, das ist ein Lied, das die Frauen beim Wäschewaschen singen.

Wenig später hören sich die Workshopteilnehmer Suse Weißes kürzeste Geschichte an. Die handelt von einem Ochsen, der das Feld pflügt. Eine Fliege setzt sich auf seine Nase und der Ochse fragt sie, was sie dort tut. „Ich pflüge“, lautet ihre Antwort. Diese Geschichte wird von allen so knapp wie nötig und so frei wie möglich nacherzählt. Es ist überraschend, wie unterschiedlich die Erzählungen aus sechs verschiedenen Mündern klingen, obwohl fast alle ähnliche Worte benutzen. „Ich mag diese Geschichte, weil sie so vielschichtig ist“, sagt Suse Weiße und erklärt fast nebenbei das Einmaleins des Erzählens. Mit wem geht meine Sympathie, ist eine Grundfrage dabei und die ist entscheidend für die Wirkung des Erzählten.

Als in Dreiergruppen weitergearbeitet wird, ahnen Annette, Franziska und Martina noch nicht, dass sie an diesem Abend eine kleine Premiere erleben werden.

Sie haben den Auftrag, das Grimmsche Märchen von der Prinzessin im Rattenfell zu dritt für die anderen nachzuerzählen. Die sitzen eine halbe Stunde später mit geschlossenen Augen vor ihnen und die Frauen weben eine ungemein dichte Erzählung mit drei ganz verschiedenen Stimmen. Während zwei abwechselnd die eigentliche Geschichte vorantreiben, hat die dritte die Aufgabe, den inneren Stimmungen der Prinzessin Ausdruck zu verleihen. Das gelingt auf Anhieb so gut, dass man schon jetzt den Eindruck hat, professionellen Erzählerinnen zuzuhören.

Ein Ziel der fortlaufenden Workshops ist, die eigene innere Stimme zu hören und dafür die passenden Worte zu finden. Denn Erzählen ist immer Mitteilen und das bedeutet, mit anderen zu teilen, sagt Suse Weiße. An diesem Abend bekam man einen ersten Eindruck davon und Bernd, der seinem Enkelkind, statt zu lesen, Geschichten lieber erzählen will, schien genauso zufrieden wie Anja, die nach ihrer vorwiegend analytischen Berufsarbeit beim wöchentlichen Erzählworkshop ihre Batterien aufladen möchte. Astrid Priebs-Tröger