Es war einmal in Potsdam-West

Es war einmal mitten im Winter und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab … Märchen, die so beginnen, kennt wohl jeder. Wer weiß jedoch, dass es sich hierbei um das Grimmsche Märchen „Schneewittchen“ handelt? Und wer kann den Handlungsverlauf lückenlos vortragen,  mitreißend und greifbar erzählen?

In Potsdam-West sind diese Fragen leicht zu beantworten: Hier erzählt Suse Weisse Märchen und Mythen aus aller Welt. Sie ist Gründerin des ErzählWerks, das unter dem Dach der Scholle 51 arbeitet und im Café „Zweitwohnsitz“ regelmäßig zu  Erzählabenden einlädt. Sie erzählt vor Jung und Alt, in Schulen und Seniorenheimen,  vor überschaubarem Publikum von meist 40 bis 50 Leuten. „So sind die Zuhörer aktiv beteiligt und können emotional und visuell einbezogen werden“, sagt Suse Weisse.

Schaurig schön

von Heidi Jäger

Geschichten „Zwischen hell und dunkel“: Zehn Frauen erzählen in der „Scholle 51“

Es wird auch gruselig zugehen, wenn am morgigen Samstag die zehn Frauen vom „Erzählwerk“ ihren samtweichen indischen Teppich im Foyer der „Scholle“ ausrollen und „Zwischen hell und dunkel“ die Magie des Geschichtenerzählens beschwören. Da kommen „Drei Feldscherer“ des Weges, schnippeln sich im Wirtshaus die Hand ab, nehmen Auge und Herz heraus, um ihre Kunst des Wunderheilens zu beweisen. Denn sie sind sich sicher, dass sie mithilfe von zauberkräftigen Salben und Tinkturen ihre Körperteile wieder einsetzen und ankleben können. Aber wie das so ist im Leben: Erstens kommt es anders und zweitens als die Feldscherer denken. Hand, Auge und Herz werden unbeobachtet von der Katze gefressen. Die von der Wirtstochter untergeschmuggelten Ersatzteile vom ausgeschlachteten Schwein und Dieb bringen die drei Feldscherer in missliche Lagen.

„Dieses eher unbekannte Märchen der Gebrüder Grimm geht ins Eingeweide und ist schon fast eine Burleske“, sagt Suse Weisse, die Leiterin des „Erzählwerkes“, über eine der vielen Geschichten, mit denen die Frauen das Publikum vorweihnachtlich fesseln wollen.

 

Den Gaunern Beine gemacht

von Heidi Jäger

Zwischen Büchern, Klavier und Hängematte: Das Erzählwerk lädt in den „ZweitWohnsitz“ ein

 

Etwa aller zwei Monate gibt es diesen offenen Geschichtenabend, bei dem man nicht wie im Theater im Dunkeln sitzt. Alle sehen sich, wenn die Spannung aus Koffern oder Kästchen kriecht und den Raum erfüllt.

Den Frauen geht es beim Erzählen nicht um Perfektion, sondern um Spontanität. Manche Sachen seien im Vorfeld zwar erarbeitet worden, aber es bleibe Raum für den Moment, für die Anekdote, den Witz, das Lied, so Suse Weisse. Dass in der Gruppe ausschließlich Frauen sind, sei gar nicht beabsichtigt gewesen. Aber es passt, so wie es ist: „Jede Frau ist eine Künstlerin“. Da gibt es die Theaterpädagogin und Schlossführerin, die Puppenspielerin und Malerin. Alle kreativ und beim Erzählen mit Leidenschaft dabei. „Die Gruppe ist stabil und wir wollen auch einen Verein gründen.“ Suse Weisse schwebt einiges vor: Erzählprojekte in Schulen und Altersheimen, vielleicht auch ein eigenes Festival. Alles ohne Zeitdruck. Jetzt machen sie erst einmal den Lügen Beine. Heidi Jäger

Mittwoch, 14. August, 19.30 Uhr, Offener Erzählabend, im „ZweitWohnsitz“, Geschwister-Scholl-Straße 89, Eintritt frei

•Erschienen am 07.08.2013 auf Seite 20

 

 

Es hört sich doch so leicht an.

Vom Erzählen – von Annette Paul

 

Suse Weisse hat sich mit ihrem Erzählwerk aus der Schiffbauergasse nach Potsdam West bewegt. Die Damen des Erzählwerks erlernen seit 3 Jahren bei ihr die Kunst des spannenden Erzählens. Da spielen Märchen und Mythen die große Rolle, weil in ihnen ja schon seit Menschengedenken die menschlichen Abgründe und Hoffnungen vereint sind. So findet die Weitergabe der Worte wieder mehr und mehr Einzug bei uns im Viertel. Dass das Erzählen verbindet, erfahren jene, die sich alle paar Wochen am Mittwochabend im Zweitwohnsitz einfinden. Dort lädt die offene Bühne des Erzählwerks dann zum Miterzählen ein und ganz plötzlich sind dann dort die Stühle knapp. Erzählen ist eine intime Nähe, die weder Vorlesen noch Theaterspielen gleicht. Hier stehen Menschen, die mit ihren Stimmen und in ihren Worten nacherzählen, was die Welt schon lange umtreibt. Und mit denen ist man verbunden.